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Kooperation als Antwort auf zukünftige Herausforderungen:

Vier Dimensionen von Kooperation


Sich mit anderen zusammentun, die ähnliche Ziele verfolgen. Gemeinsam bessere Bedingungen schaffen, als das allein möglich wäre. Selbständig bleiben und doch nicht allein sein. Synergien erzeugen. So oder ähnlich könnte man den Begriff der Kooperation vielleicht beschreiben. Er ist eine der Antworten der EKHN auf die Herausforderungen der Zukunft unserer Kirche: weniger Gemeindeglieder, weniger Pfarrerinnen und Pfarrer, weniger Geld. Mit der Aussicht auf Mitstreiterinnen und Mitstreiter verlieren diese düsteren Prognosen vielleicht an Schrecken und gewinnen einen positiven Aspekt: Es eröffnet sich ein Handlungs- und Gestaltungsspielraum.


Worauf aber ist zu achten, will man diesen Gestaltungsspielraum füllen? Worüber sollten sich potenzielle Partner auf dem Weg zur Kooperation unterhalten? Oder auch solche, die bereits erste oder viele Schritte miteinander gegangen sind?


Dr. Katrin Valentin, Sozialwissenschaftlerin aus Nürnberg, hat vier Dimensionen von Kooperation ermittelt, die den Akteuren helfen können, sich den eigenen Haltungen bewusst zu werden. Gelingt es, die vier Dimensionen im Laufe der Kooperation im Gespräch immer wieder abzugleichen und auch Veränderungen im Denken und Handeln dazu zu kommunizieren, erhöhen sich die Erfolgsaussichten.


Vier Dimensionen von Kooperation


Katrin Valentin


Im Rahmen einer theoretischen Studie zu Kooperation wurden vier Dimensionen herausgearbeitet, die die Entwicklung von Kooperationen bestimmen (Valentin 2013). Diese Dimensionen können dazu herangezogen werden, das eigene Handeln in Formen von Zusammenarbeit systematisch zu reflektieren. Es ist davon auszugehen, dass sich jede kooperierende Person zu diesen Dimensionen verhält. Dies kann reflektiert und strategisch erfolgen oder auch nur nebenbei und implizit. Die Berücksichtigung dieser Dimensionen kann sehr gut dazu herangezogen werden, mehr Klarheit über das eigene Tun und die Zusammenarbeit mit den Kooperationspartner*innen zu gewinnen: im Vorfeld, im Verlauf und im Nachgang einer Kooperation. Eine bewusste Auseinandersetzung mit ihnen birgt die Chance, auf Selbstverständlichkeiten im eigenen Verständnis oder dem des Gegenübers zu stoßen, welche bei herkömmlichen Klärungsprozessen nicht kommuniziert worden wären. Dies ermöglicht die Klärung von Konflikten, eine Reduktion von Missverständnissen und ein besseres Verständnis für Verläufe in der Aufarbeitung des Geschehenen. Sie sind insbesondere dafür geeignet, in einem beratenden Prozess als Orientierung für Klärungsprozesse herangezogen zu werden.


(1) Intentionalität

Intention lässt sich aus dem Lateinischen mit „Absicht“ übersetzen und meint hier das absichtsvolle oder zielgerichtete Handeln der Kooperationspartner*innen. Dabei ist es allerdings offen, ob es sich um „geteilte oder sich überschneidende Zielsetzungen“ (van Santen / Seckinger 2003) handelt, es können auch „ein oder mehrere Ziele“ (Meyer-Clemens 2006) sein. Es ist sogar möglich, dass es völlig unterschiedliche Ziele sind, deren Erreichen jedoch in einem gegenseitigen Zusammenhang stehen.


Die Frage lautet: Welche Intentionen haben die Akteure?


  • Welches Ziel bzw. Ziele verfolge ich? Und wo liegen meine Prioritäten?
  • Welche Ziele verfolge ich nicht?


(2) Interaktivität

Soziale Interaktion lässt sich als „bewusstes, wechselseitiges, sich Aufeinanderbeziehen und Einflussnehmen von zwei oder mehreren Menschen in ihrem Handeln, zum Zweck der Abstimmung des Verhaltens“ beschreiben (Tenorth / Tippelt 2007, S. 344).


Die Frage, die bei dieser Dimension relevant ist, lautet: In welcher Weise interagieren die Akteure?


  • Wann und wo möchte ich etwas gemeinsam machen und gestalten?
  • Wann und wo möchte ich es nicht gemeinsam, sondern in Eigenregie machen und gestalten?

 

(3) Souveränität

Der Begriff der Souveränität findet normalerweise in den Politikwissenschaften seine Verwendung und wird insbesondere im Völkerrecht verwendet. Hier wird der souveräne Staat als ein „in seinem Handeln (…) unabhängiges, gegenüber anderen Staaten prinzipiell gleiches und freies Subjekt“ angesehen (Nohlen/Schultze 2010, S. 961). Unter Souveränität fallen in den vorliegenden Zusammenhängen Charakteristika, welche oftmals die Unabhängigkeit der Akteure betonen. Häufig wird dies in Bezug auf die rechtliche Selbstständigkeit der Akteure eingefordert. Es bedeutet, dass die Akteure „auch ohne die Kooperation für sich alleine bestehen“ können (Meyer-Clemens 2006, S.78). Auch die Freiwilligkeit der Kooperation lässt sich als Ausdruck von Souveränität fassen.


Die Frage lautet: In welcher Weise sind die Akteure voneinander unabhängig?


  • Inwiefern bleibe ich unabhängig von meiner/meinem Kooperationspartner/-in?
  • Inwiefern stehe ich von ihm/ihr in Abhängigkeit?


(4) Intensität

Dass Kooperation sich durch eine besonders intensive Form der Zusammenarbeit auszeichnet, ist auch ein Aspekt mehrerer Definitionsversuche. Theurl/Schweinsberg (2004) z. B. bezeichnen Kooperation explizit als eine „intensive (…) Verbindung“. Die Intensität einer Kooperation kann sich beispielsweise mittels einer vertraglichen Regelung – als Ausdruck eines hohen Stellenwertes der Zusammenarbeit – niederschlagen. Unter die Dimension Intensität ist darüber hinaus auch die Betonung einer zeitlichen Begrenzung oder Langfristigkeit, also Extensität, sowie eine Einschränkung der Zusammenarbeit, die einzelne Ziele oder Bereiche betreffen (als Einschränkung von Intensität) zu fassen. Ferner wird mit dieser Dimension auch das Einfordern bestimmter Haltungen bei den Akteuren berücksichtigt. Halbheer/Kunz z. B. schreiben Akteuren von Kooperation einen „Vertrauensvorschuss“ zu (Halbheer/Kunz 2011). Dies lässt sich auch als Grad von Intensität erfassen, da eine bestimmte innere Haltung erwartet wird, die einen Aufwand und eine emotionale Beteiligung mit sich bringt.


Die Frage hierzu lautet: Welche Intensität hat die Zusammenarbeit und wie drückt sich diese aus?


  • Mit welcher Intensität (Dauer, zeitlicher Aufwand, Verbindlichkeit, personelle und finanzielle Ressourcen) will ich die Kooperation betreiben?
  • Wo liegen meine Grenzen?


Dr. Katrin Valentin (2020), Universität Erlangen-Nürnberg, Kontakt: katrin.valentin@fau.de

 

Das Projekt ‚Vernetzte Beratung‘ der EKHN berät Kirchengemeinden in Kooperationsprozessen. Dabei werden Fach- und Prozessberatung miteinander verknüpft. Je nach Themen und Fragestellungen vor Ort werden die Unterstützungssysteme herangezogen, die die Gemeinden brauchen. Das IPOS übernimmt mit seinem Berater*innen Netzwerk den Teil der Prozessberatung. Die vier Dimensionen sind ein hilfreiches Modell, eine Landkarte, mit Hilfe derer die Beraterinnen und Berater die Gemeinden in ihrem Kooperationsvorhaben begleiten können. Zurzeit entwickeln wir Tools auf Basis der vier Dimensionen, konkretes „Handwerkszeug“, mit dem wir in den Beratungsprozessen arbeiten können.


Sie sind neugierig geworden? Setzen Sie sich gerne mit Christian Leibner, Projektstudienleiter Vernetzte Beratung,

in Verbindung.

 


Literaturverweise:

  • Halbheer, Ueli/Kunz, André: Kooperation von Lehrpersonen an Gymnasien. Eine qualitative und quantitative Analyse der Wahrnehmung von Lehrpersonen aus schul- und gouvernancetheoretischer Perspektive. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011
  • Meyer-Clemens, Anna-Maria: Kooperation zwischen allgemein bildender Schule und Musikschule. Theorie & Praxis – Bedingungen – Evaluation. Tectum Verlag, Marburg 2006
  • Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaften. Theorien, Methoden, Begriffe. Verlag C.H. Beck, München 2010
  • Tenorth, Heinz-Elmar/Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Beltz Lexikon Pädagogik. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2007
  • Theurl, Theresia/Schweinsberg, Andrea: Neue kooperative Ökonomie. Moderne genossenschaftliche Gouvernancestrukturen. Mohr Siebeck, Tübingen 2004
  • Valentin, Katrin: Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Theater. Empirische Ergebnisse für die Fachdebatte und hilfreiche Reflexionen für die Praxis. Waxmann Verlag 2013
  • Van Santen, Eric/Seckinger, Mike: Kooperation: Mythos und Realität einer Praxis. Eine empirische Studie zur interinstitutionellen Zusammenarbeit am Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe. Verlag Deutsches Jugendinstitut, München 2003


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