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  Eine vom Menschen gemachte globale Veränderung

  des Klimas

  Was wir von der Klugheit der Klimabewegung lernen können



Bild: copyright Mika Baumeister on unsplash.com


Die Die Klimaaktivistin Greta Thunberg formuliert immer wieder die Forderung "unite behind the science". Gemeint sind in meinen Augen die Wahrnehmung und unbedingte Akzeptanz von objektiven Zusammenhängen und Fakten. Objektiv und faktisch ist eine Sache, wenn deren Wirklichkeit unabhängig von ihrer Betrachter:in und deren Interpretation besteht. Offenbar gibt es diesbezüglich eine Krise – sonst müssten Thunberg und ihre Generation von Aktivist:innen nicht darauf hinweisen.


Das "Gegenteil" – falls sich das so sagen lässt – zur Objektivität ist die Subjektivität. Subjektiv sind Wahrnehmungen, die ausschließlich dem Individuum zugänglich sind und für die keinerlei Allgemeingültigkeit beansprucht wird. Also beispielsweise die sprichwörtliche "Geschmackssache", über die sich bekanntlich nicht streiten lässt.


Verbinden Menschen ihre Subjektivität der Sichtweisen aufgrund ihrer tatsächlichen Schnittmengen oder scheinbaren Ähnlichkeiten miteinander, entsteht eine Intersubjektivität. Dabei wird ein komplexer Sachverhalt von mehreren Betrachter:innen gleich(ermaßen) wahrgenommen und bewertet. Diffizil wird es dann, wenn die Gruppe der Betrachter:innen einer geteilten Subjektivität so groß und ihre daraus resultierende Narration so stark ist, dass diese von einer objektiven Sichtweise auf den ersten Blick nicht mehr zu unterscheiden ist oder Objektivität sogar behauptet wird.


Der Historiker Yuval Noah Harari weist mit seinem radikalen, aber klärenden Konstruktivismus darauf hin, dass beispielsweise Menschenrechte und Religionen, aber auch Währungen, Nationen und Organisationen, sogar Eigentum und Gesellschaft keine objektiven Größen sind. Anders als Radioaktivität und Gravitation, die unabhängig von der Betrachter:in wirken. Werden intersubjektive Zusammenhänge also nur von einer ausreichenden Zahl von Betrachter:innen geteilt, entkoppeln sich diese vom Individuum, werden scheinbar objektiv, bleiben faktisch jedoch (inter)subjektiv. Damit ist einem "Story Bias", also einer narrativen Verzerrung, Manipulationen, Umdeutungen, sowie Fake News ein nährender Boden bereitet.


Nach diesem wichtigen Umweg zurück zur Klimakrise: Die ist im oben genannten Sinn eine objektive Veränderung. An dieser Stelle der Begriff "Veränderung", da ich lauterer Weise dazu sagen muss, dass der Begriff "Krise" nicht wirklich objektiv ist. Womit ich mich aber schon mitten im "Kampf" um das angemessene Narrativ befinde. Die faktische Klimaveränderung zeichnet sich im Blick auf die Erdentstehungsdauer durch ihre rasante Geschwindigkeit aus. Objektiv ist ebenfalls, dass sie durch menschliches Handeln und Verhalten – hauptsächlich durch den massiven Gebrauch und Verbrauch fossiler Energien – verursacht sind. Die mit der Klimakrise einhergehenden Veränderungen wirken unabhängig davon, ob ich an sie glaube oder nicht. Des Weiteren handelt es sich um eine – im wahrsten Sinne des Wortes – globale Veränderung, betroffen ist das komplette System Erde mit allen Subsystemen.


Interessanterweise zeichnet sich im Umgang mit der Klimakrise ein massiver Kampf um die Deutungshoheiten im Hinblick auf das Narrativ ab. Dabei werden meines Erachtens von unterschiedlichen Interessensgruppen bewusst Objektivität und (Inter-)Subjektivität, sowie "systemisch" und "individuell" vertauscht. So hat eine namhafte Politikerin im September 2021 in einer Talkrunde mit dem Satz "Ich glaube an Gott und nicht an den Klimawandel" mal eben die Faktizität der Klimakrise in Frage gestellt. Ebenso hätte diese auch sagen können, dass sie nicht an die Schwerkraft glaubt.


Ebenso ist die Klimakrise eine umfassende globale und systemische Krise, die individuell – sprich durch klimabewusstes Verhalten Einzelner – nicht gelöst werden kann. Nicht einmal Subsysteme wie einzelne Staaten sind in der Lage eine so umfassende Krise allein zu bewältigen. Hier sei ausdrücklich gesagt, dass umweltbewusstes Verhalten sinnvoll ist, eine Lösung der Klimakrise ist es nicht. Es lohnt sich die Frage zu stellen, wer von dieser Umdeutung profitiert.


Welche Schlüsse lassen sich nun beraterisch daraus ziehen? Ausschließlich im Kontext von Objektivität lässt sich von "richtig" und "falsch" sprechen. Im Feld der Intersubjektivität ist das angemessene Steuerungsinstrument die Kommunikation und in deren Handlungsfeld gehört die mögliche Verständigung beziehungsweise Einigung oder die Feststellung, dass beides nicht möglich ist. Das Pendant zu "richtig" und "falsch" ist hier geteilte und nicht geteilte "Wirklichkeit".


Auch eine kommunikative Einigung macht aus einer intersubjektiven Größe keine objektive: Es bleibt immer eine konstruierte "Wahrheit". Aufgabe von Beratung ist es meines Erachtens diese Unterscheidung permanent im Bewusstsein zu halten und die Anwaltschaft für Objektivität als Wert höheren Ranges zu übernehmen. Kurz: Intersubjektive Deutungen dürfen objektiven Tatsachen nicht widersprechen! Das eine vom anderen zu unterscheiden, klingt jedoch viel einfacher, als es in komplexen Zusammenhängen ist.


Eine ähnliche Funktion hat Beratung im Hinblick auf die kategoriale Zuordnung von Problem- und Lösungsebene. Zu entlarven sind hier Narrative, die eine "verkehrte" Zuordnung vorantreiben. Dazu gehört neben der Frage, ob sich das Problem mit dieser Antwort oder Lösungsidee tatsächlich lösen lässt auch die Metafrage, ob es sich um dieselbe Dimension von Lösung zu Problemstellung handelt. Komplex wird es – wie die Coronapandemie zeigt – wenn mehrere Ebenen gleichzeitig betroffen sind: Individuelles Handeln ist hier genauso relevant wie systemisch-politisches. Aber unbedingt im "Sowohl - Als auch" und in der passenden Zuordnung. 


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Berater:innen von den Klimaaktivist:innen lernen können auf die Kraft des guten (oder besseren) Argumentes zu vertrauen. Beratung ist Anwält:in dieses Argumentes.


Alexander Janka, Fachstelle Organisationsentwicklung



Weiterführende Literaturhinweise:


Neubauer, Luisa u. Repenning, Alexander: Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft. Stuttgart 2019


Neubauer, Luisa u. Ulrich, Bernd: Noch haben wir die Wahl. Ein Gespräch über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen. Stuttgart 2021


Nguyen-Kim, Mai Thi: Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit: Wahr, falsch, plausibel - die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft. München 2021.



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