NEWS 



   Gemeinsam auf der Reise

   Erzählungen der Gruppe "die Reisenden" (Kita-Leitungen aus Frankfurt)



Bild: copyright Gabriela Palai on pexels.com


Corona hat nach oben gespült, was an gesellschaftlichem Handlungsbedarf im Raum ist. In diesem Artikel soll das für das Feld "Kita" reflektiert werden: Wie hat sich Corona auf die Arbeitssituation, Personalsituation, Arbeitsabläufe, Kommunikation, die Mitarbeiterinnen und uns als Kita-Leitungen ausgewirkt? 

 

Blick auf den Arbeitsalltag unter Corona-Bedingungen 

 

Häufiges kurzfristiges organisatorisches Umplanen 

 

Oft kam Freitagnachmittag die Nachricht zu detaillierten Neuregelungen, die bereits montags umgesetzt werden mussten. Neue Hygienekonzepte mussten immer wieder vor Ort erarbeitet werden. Durch die hohen Infektionsraten unter den Kindern und Mitarbeitenden ist oft nicht rechtzeitig klar, wer am nächsten Tag einsatzfähig ist. Der Dienstplan musste immer wieder sehr kurzfristig geändert werden.

Folge: Wir planen das Unplanbare. 

 

Kurzfristige konzeptionelle Anpassungen 

 

Je nach aktuellen Coronazahlen war es oft nötig, die Arbeit von offenen Bildungsräumen in geschlossene Gruppen umzustellen. 

Folge: Die häufige Umstellung in der Arbeitsweise und -organisation führte immer wieder dazu, dass Mitarbeitende Widerstände entwickelten und die Angst vor eigener Infektion zu innerer Erstarrung führte. Die Mitarbeitenden funktionierten zwar, aber Kontaktfähigkeit und Beziehungsfähigkeit waren nicht mehr so vorhanden wie zuvor.   

 

Widersprüche 

 

In anderen Organisationen wird im Home Office gearbeitet. In dem Bereich, in dem in den letzten Monaten die Infektionsgefahr mit am größten war, wo Menschen mit Menschen arbeiten, wie z. B. in den Kitas, wurde v. a. im Krippenbereich meistens ohne Maske und mit allen Altersgruppen immer ohne Abstand mit den Kindern in Kontakt getreten. Es wird als irrational empfunden, dass bei hohen Infektionszahlen in den Kitas die Coronaschutzregelungen gelockert wurden. 

Folge: Die Mitarbeitenden entwickeln immer stärker das Gefühl, dass sie nicht gesehen werden. Das Verarbeiten der Widersprüche von ausgefeilten Schutzkonzepte in anderen Organisationen und die geringen Möglichkeiten für Einhaltung der Maskenpflicht und Abstandsregelungen in der Arbeit mit Kindern erfordert eine hohe Ambiguitätstoleranz und stellt die Mitarbeitenden immer wieder vor die Frage nach der Verantwortung für ihre eigene Sicherheit im Spannungsverhältnis zu ihrem Professionalitätsverständnis (Arbeit im Kontakt). 

 

Kommunikation 

 

Kürzung der Öffnungszeiten und teilweise ganze Schließungen führte zu weiteren Belastungen der Eltern. Durch die Kontaktbegrenzung fehlte der direkte persönliche Zugang der Eltern zu den Erzieher:innen. Es fand nur wenig bis gar kein Austausch über die Kinder statt. Zudem gibt es natürlich auch unter den Erzieher:innen und Eltern einen unterschiedlichen Umgang mit Corona und dem Impfen. 

Folge: Konflikte mit manchen Eltern verschärfen sich. Andere Eltern gehen verständnisvoll mit den Herausforderungen des Kita-Alltags unter Corona-Bedingungen um. Es zeigen sich aber auch verstärkt Unmut und Ärger bei den Erzieher:innen der Politik gegenüber und bei den Eltern der Kita gegenüber. Wir werden "dünnhäutiger", und Konfliktdynamiken breiten sich aus. Außerdem bleiben noch geringere Zeitressourcen als zuvor für die interne Kommunikation und das Entwickeln von Bewältigungsstrategien. 

 

Arbeitsqualität 

 

Die Erzieher:innen sind mit einer anderen Erwartung an die pädagogische Arbeit angetreten, nämlich Kindern einen guten Entwicklungsraum zu ermöglichen. Kontakt und Beziehungen sind dabei wesentlich. Die Kontaktregelungen durch Corona schränken nun die Kontakte der Kinder in den selbstgewählten Bildungsräumen ein, die direkten Kontakte mit den Eltern sind weitgehend auf die Begegnung am Eingangstor beschränkt und die direkten Kontakte mit den Kolleg:innen nur in den geschlossenen Gruppen möglich. 

Folge: Die Frage nach der Sinnhaftigkeit stellt sich verstärkt. 

 

Leitung 

 

Leitungsarbeit in den Kitas, die bereits vor Corona immer mehr durch Verwaltungsarbeit geprägt war, wurde durch Corona weiter mit vielen organisatorischen Details belastet. Oft musste eigenverantwortlich gehandelt werden, da die offiziellen Kommunikationswege (Land Hessen, Stadt Frankfurt, Träger…) zu lang waren, um bedarfsgerecht zu reagieren: Donnerstags wurden beispielsweise neue Corona-Regelungen verkündigt, die in ihrer Umsetzung im besten Fall am Freitag bei den Einrichtungen ankam, und dann wurde noch schnell eine Mitteilung an die Eltern herausgegeben, damit diese wissen, wie sie ihre nächste Woche planen können. Der Kontakt zu den Mitarbeitenden kam durch die zusätzliche Verwaltungsarbeit oft zu kurz. 

Folge: Einerseits nehmen Selbstorganisationsprozesse zu, andererseits gibt es striktere Vorgaben. 

 

Blick auf den Arbeitsalltag neben und jenseits von den oben beschriebenen Coronabedingungen 


Wir kommen an unsere Grenzen, aber auch die Familien kommen an ihre Grenzen. In einigen Einrichtungen der Kita-Leitungen "die Reisenden" überschlagen sich die Ereignisse: In einer Einrichtung steht die Inobhutnahme eines Kindes an. Eine andere Kita zieht gerade vorübergehend in einen Container, da am alten Standort ein größerer Neubau errichtet wird. Für die Bewältigung dieser Aufgaben stehen keine zusätzlichen Zeitkontingente zur Verfügung. 

 

Erstes Fazit 

 

Noch mehr Flexibilität und Veränderungsbereitschaft unter sich zuspitzenden Bedingungen ist gefordert. Kommen dann noch zusätzlichen Herausforderungen dazu wie z. B. viel Personalwechsel, bauliche Veränderungen, besondere persönliche Ausgangslagen, Unterschiedlichkeit innerhalb der Teams im Umgang mit Corona,… dann wird es besonders anspruchsvoll. 

 

Und trotz alledem: Die Arbeit wird aufrechterhalten, der Betrieb läuft, die Mitarbeitenden sind an Bord. Erstaunlich, was an Bewältigungsstrategien entwickelt wurde.  Wir beobachten und merken aber auch: Es hat Kraft gekostet. Eigentlich bräuchte es jetzt eine Pause, ein Durchatmen, ein Auftanken. Aber: Der Betrieb muss weiterlaufen… 

 

Die Reise 

 

Es gibt so viel zu erleben auf der gemeinsamen Reise. Sie geht weiter, wir werden gemeinsam unterwegs sein. Erst mal nehmen wir viel mit, was in uns arbeitet. Wir gehen anders als wir gekommen sind. Und wir werden im Arbeitsalltag ausprobieren, wie es wirken kann. 

 

Es gäbe auch hier noch so viel zu erzählen von dieser Reise und unserem Erleben, die Kinder in den Blick zu nehmen, die Kinder in den Kitas, die Kinder in uns, die Veränderung der Leitungsrolle, über Carearbeit in unserer Gesellschaft…aber erst mal gibt es ein Anhalten. 

 

Danke, dass Sie beim Lesen ein Stück mit in uns mitgereist sind. Vielleicht begegnen wir uns an einer anderen Station auf dieser Reise wieder? 

 

 

Irmtraud Weissinger und „die Reisenden“