Aus dem Wörterbuch des Wandels:
Transformation und Change
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Als ich über Transformation und Change und über die Dynamiken von Veränderungen nachdachte und die Gedanken niederschrieb, war es gerade Sommer. Am liebsten genoss ich in jenen Tagen nur den ständig klaren Himmel und die helle Sonne, zumal wenn die Nächte kühl waren. „Was für ein Wetterchen!“ Die Tomaten auf dem Balkon waren knallrot und aromatisch, den Apfelbäumen brachen fast die Äste ab unter der Last. Nun ist es schon Herbst geworden. Und um es gleich vorwegzunehmen: In der Natur, so sie darf, wie sie will, können wir besonders gut die Ingredienzien von Transformationen beobachten.
“Nur genießen“ geht nicht mehr. Der knacke-trockene Sommer hat es unmissverständlich gezeigt: Wir befinden uns in einer großen Transformation unseres Wirtschaftens und unseres gesamten Lebens. Covid, Krieg auf der Welt und nicht nur in der Ukraine, gescheiterte militärische Aktionen, Dürren, Fluten und Artensterben: Die Lösungen, die wir uns ausdenken, um Krisen zu bestehen, sind nur dann tragfähig, wenn sie den Horizont weit genug aufspannen.
Die funktionale Aufgliederung unseres gesellschaftlichen Lebens bedroht das Leben auf der Erde mit zu eingeschränkten, voneinander abgeschotteten Perspektiven und Wachstumsideologien.
Transformation meint die grundsätzliche Veränderung, die – einmal angestoßen – nicht mehr aufzuhalten ist.
Die Digitalisierung ist so ein Prozess. Der Wandel beeinflusst alle Sphären. Daran zeigt sich sofort: Geschehen lassen reicht nicht! Aktives Gestalten auf allen Ebenen ist nötig, obwohl ehrlicher Weise kein Mensch sagen kann, wohin die Reise geht. Organisationen, die sich bewusst dem fortwährenden Wandel zuwenden und organisationales Lernen fördern, haben hier die Nase vorn.* Sie schaffen auf den verschiedenen Ebenen – top-down und bottom-up – Räume für Innovation und Exnovation, für Reflexion und Resonanz. Die Sphären der organisationalen Routinen und die der
unter Umständen disruptiven Erneuerung werden immer wieder aufeinander bezogen. Nicht ausgeschlossen, dass sich die Organisation ganz neu erfindet und völlig andere Strukturen entwickelt! Verhalten und Einstellungen v. a. der Führungskräfte zeigen den auf eine gute Zukunft ausgerichteten Kulturwandel an. Eine mutige und zugleich “postheroische” Leitung legt die Spur. Welchen Nutzen wollen wir stiften? Welchen Beitrag zu einer pulsierenden Lebendigkeit für alle können und wollen wir leisten? Welchen Beitrag zu einer fließenden Verbindung zum großen Ganzen können wir zur Verfügung stellen? Das sind die Leitfragen, wie sie z. B. bei der Erarbeitung des Purpose gestellt werden. Es zeichnet sich ab: diese Form der Veränderung birgt großes Konfliktpotential, es geht um existentielle Fragen auf allen Ebenen. Größer geht es nicht? Nein, wer sieht, dass eine große Transformation vonnöten ist, will alle mögliche Wirksamkeit als Organisation in diesem Horizont aufspannen!
Die operative und weiter verbreitete “Verwandte” der Transformation ist der Change. Hier geht es um überschaubarere Veränderungsvorhaben – zeitlich befristet und an beschriebenen Zielen orientiert. Sie sind z. B. Ausfluss eines Strategieprozesses. Changevorhaben werden indes ebenso in emotionale Wechselbäder führen wie Transformationsprozesse (innerhalb derer sie ebenfalls ein Werkzeug sein können). Die Einführung einer neuen Buchungssoftware ist ein gutes Beispiel. Das ist ein in sich komplexer und Unruhe stiftender Prozess für alle Beteiligten; auch hier wird es zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen kommen müssen, wenn er gelingen soll. Oft beziehen sich die Changevorhaben auf das operative Geschäft, auf einzelne Leistungen oder Produkte. Changemanagement zielt ab auf Optimierung, oft auch auf Wachstum einzelner Geschäftsfelder oder Leistungsprozesse. Wie können wir unsere Leistung verbessern? Was können wir tun, um z. B. unsere Arbeit in der Gemeinde mit und für die 18 – 25-Jährigen am Ort interessant zu konzipieren? Bei dieser Form des Wandels kann auf etablierte Methoden z. B. des (agilen) Projektmanagements zugegriffen werden, denn die Orientierung an mehr oder weniger berechenbaren Ergebnissen ermöglicht eine größere Planbarkeit. Ausschlaggebend ist hier eine gründliche Verständigung über die Ziele des Prozesses, über mögliche Produkte und/oder neue oder veränderte Leistungen und die zugrunde gelegten Erfolgskriterien. Auch hier ist zu unterstellen, dass es Abweichungen vom Plan geben wird…
Ich habe mir meine roten Tomaten gut schmecken lassen. Ich erfreue mich auch weiterhin an der Schönheit eines ordentlichen Herbsttages, die heiße Sommersonne noch im Sinn. Im persönlichen Leben neben diesen Genüssen das Meine zu tun, um die Schöpfung zu bewahren, fällt mir leichter als den Unwuchten der digitalen Transformation zu trotzen… Als Pfarrerin und Organisationsberaterin aber kann ich professionell mit dafür sorgen, dass alles Organisieren nicht nur in Kirche und Gemeinde dem großen Transformationsprozess zuträglich ist.
* Vgl. zum Beispiel Kienbaum & StepStone, 2020, "Agile Unternehmen – Zukunftstrend oder Mythos der digitalen Arbeitswelt?". https://www.kienbaum.com/de/publikationen/agilitaet-in-der-digitalen-arbeitswelt/