Macht ist in Non-Profit-Organisationen oft ein Tabu. Das liegt u. a. daran, dass die gemeinsame Ausrichtung auf einen guten Zweck und die hohe Beziehungsorientierung dazu verführen, das Thema auszublenden. Doch diese Verdrängung hat ihren Preis: Sie führt oft zu dysfunktionalen Organisationsabläufen und lässt Organisationen anfällig für Machtmissbrauch werden.
Macht an sich ist weder gut noch schlecht. Sie kann unterstützend-produktiv wirken - oder hochgradig destruktiv. Und sie ist unvermeidbar, denn wo immer Menschen in Gruppen und Organisationen zusammenfinden, gibt es unterschiedlich verteilte Formen des Einflusses. Daher gilt es, sich bewusst mit dem Thema Macht auseinanderzusetzen, gerade auch in Non-Profit-Organisationen.
Facetten der Macht
Der erste Schritt für einen bewussten Umgang mit Macht ist der Blick darauf, wie vielfältig Macht sich zeigen kann. Macht ist nicht immer auf einen Punkt der Organisation hin ausgerichtet. Gerade Non-Profit-Organisationen sind oft multipolare Systeme, in denen die Macht auf verschiedene Akteur:innen verteilt ist (in den evangelischen Kirchen beispielsweise: Synoden, Kirchenleitungen, Verwaltung etc.).
Dabei ist es hilfreich, zwischen formeller und informeller Macht zu unterscheiden: Nicht immer sind die Menschen mit einer formalen Führungsfunktion die wahrhaft Mächtigen in einer Organisation. Bedeutsam ist auch das Bewusstsein, dass es sehr subtile Formen der Macht gibt, die sich statt großer Gesten psychologischer Mechanismen bedienen und nur schwer zu erkennen sind.
Und es ist wichtig, dass es Macht in sozialen Systemen nie abstrakt existiert, sondern immer an handelnde Menschen gebunden ist – auch wenn es sprachlich viel einfacher ist, von „der Macht“, die handelt, zu sprechen (so wie auch in diesem Artikel). Schließlich kann mit der Unterscheidung von heller, dunkler und schwarzer Macht das Augenmerk darauf gelenkt werden, welche unterschiedlichen Auswirkungen die Ausübung von Macht haben kann.
Helle Seite der Macht
Auf der „hellen Seite“ wird Macht primär als eine Form der Verantwortungsübernahme verstanden. Macht sieht sich dabei als Ermöglicherin, die die Interessen aller Beteiligten und die Interessen der Organisationen als Ganzes im Blick hat, auch und gerade, wenn die unterschiedlichen Interessenslagen nicht direkt zu befrieden sind.
Diese Form der Macht sorgt für Transparenz im eigenen Handeln und erklärt und legitimiert ihre Interventionen. Von dieser hellen Seite der Macht profitiert eine Organisation auf vielen Ebenen: Ein transparenter Machteinsatz gibt Orientierung und stellt sicher, dass die Werte und Prinzipien einer Organisation gewahrt bleiben – nicht zuletzt, weil die Macht sich selbst hinterfragbar macht. Und sie kann die Bearbeitung von Konflikten – innerhalb der Organisation und an ihren Außengrenzen – unterstützen.
Dunkle Seite der Macht
Auf der „dunklen Seite“ verschreibt sich Macht einseitigen Interessen. Statt Interessen auszubalancieren, bevorzugt sie einzelne Akteur:innen – in der Regel mit dem Ziel, auch für sich selbst einen Vorteil zu erzielen. Erreicht wird dies z. B. über einen selektiven Informationsfluss: Die eigenen Interessen werden nicht benannt, Ziele und Handlungsweisen bleiben im Verborgenen und Wissen wird nicht mit allen geteilt. Die Machtausübung basiert nicht auf transparenten Regeln, sondern das Handeln ist von Willkür geprägt, und Leitung übernimmt nur dann Verantwortung für die Abläufe und Zustände in der Organisation, wenn sich damit ein Gewinn erzielen lässt.
Ein solcher Umgang mit Macht erzeugt bei den Mitgliedern der Organisation Unsicherheit, die sie häufig dadurch zu kompensieren versuchen, dass sie sich in ihrem Handeln direkt an der Leitung ausrichten. Je stärker die Verunsicherung durch intransparentes und tendenziell willkürliches Leitungshandeln ist, desto mehr Aufwand betreiben die Mitarbeitenden, um sich abzusichern und gegen willkürlichem Machteinsatz zu schützen. Damit geht der Organisation zwar viel Energie verloren, aber gleichzeitig steigen auch die Durchgriffsmöglichkeiten der Leitung, so dass die Organisation zumindest kurz- bis mittelfristig wirksamer und zielgerichteter erscheinen kann. Auf Dauer allerdings sorgen die von Misstrauen geprägte Kommunikation, die nachlassende inhaltlichen Fokussierung und der Verlust von psychologischer Sicherheit für einen Schwund der organisationalen Wirksamkeit.
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen der hellen und der dunklen Seite der Macht nicht so eindeutig, wie die eben gelieferte Skizze suggerieren mag. Je nach eigener biografischer und kultureller Prägung ergeben sich erhebliche Differenzen bei der Wahrnehmung von Machtkonstellationen. Und wie Menschen die Anwendung von Macht beurteilen, hängt naturgemäß auch davon ab, ob sie positiv oder negativ von ihr betroffen sind.
Die schwarze Seite
Anders ist es, wenn das Dunkle ins Schwarze kippt: Wenn Macht mittels Lügen und Drohungen agiert, ihr Handeln missbräuchlich und gewaltförmig wird und sich aus narzisstischen oder psychopathischen Störungen speist, gibt es wenig Interpretationsspielräume, zumal solche Formen der Machtausübung schnell zu einer existentiellen Bedrohung für die Organisation werden können.
Der Weg zu einem bewussteren Umgang mit Macht
All das macht deutlich, wie wichtig es für Non-Profit-Organisationen ist, das Tabu zu brechen und das Thema Macht besprechbar zu machen. Der erste Schritt dazu wäre, zu analysieren, welches „Image“ Macht in der Organisation hat (ob sie z. B. grundsätzlich als illegitim angesehen wird oder ob es differenziertere Positionen gibt) und diese Beobachtungen dann ins Gespräch zu bringen.
In einem zweiten Schritt geht es darum, eine „Landkarte der Macht“ zu entwerfen: Wer hat welchen Einfluss? Wer verfügt über welche Privilegien? Dabei hilft es der Wahrnehmungsfähigkeit enorm, wenn ihr eine Liste mit den unterschiedlichen Formen der Macht an die Hand gegeben wird. Besonders wichtig dürfte dabei die Differenzierung zwischen formeller und informeller Macht sein – gerade auch mit Blick auf die persönlichen Beziehungen innerhalb der Organisation. Nicht zuletzt die ForuM-Studie hat aufgezeigt, dass eine hohe Beziehungsorientierung eine verantwortungsvolle Ausübung von Macht massiv erschweren kann.
Ein dritter Schritt besteht darin, zu überlegen, welche Form und Ausgestaltung von Macht optimal zur eigenen Organisation passen würde. Häufig denken Menschen, wenn es um Macht geht, nur an die klassische Hierarchie –aber es gibt heute viele Formen der Selbstorganisation, die Verantwortung differenziert verteilen und Hierarchien durch Rollen und Regeln ersetzen.
Klar ist: In einer Non-Profit-Organisation zu einem bewussteren Umgang mit Macht zu kommen, kann ein langer Weg sein. Aber es ist ein Weg, der sich lohnt – und zu dem es angesichts der vielen erschreckenden Beispiele für Machtmissbrauch in Kirchen und anderen Non-Profit-Organisationen letztlich keine Alternative gibt.
Copyright © Alle Rechte vorbehalten