In Zeiten von tiefgreifenden Umbrüchen richtet sich ein besonderes Augenmerk auf Leitung und die Art, wie sie Verantwortung übernimmt. Wie kann sie in all dieser Unsicherheit Orientierung geben und wo sind die Grenzen der Verantwortung? 

Jutta Rottwilm und Yvonne Brockmann, die ehemalige und die gegenwärtige Studienleiterin für die Ausbildung in Organisationsentwicklung im IPOS, reflektieren die Ergebnisse des diesjährigen Ausbildungs-Laboratoriums. 

Verantwortlichkeit und Verantwortung 

Leitend ist für uns die Unterscheidung von Verantwortlichkeit und Verantwortung, die auf Niklas Luhmann zurückgeht:  "Verantwortung auf der einen Seite (im Sinne von: Probleme wahrnehmen und sich berufen fühlen, Lösungen dafür zu entwickeln) und Verantwortlichkeit auf der anderen Seite (im Sinne von offiziell für etwas adressierbar sein, Antworten geben und unter Umständen auch den eigenen Kopf hinhalten müssen)." 

(Judith Muster, Andreas Hermwille, Jens Kapitzky „Lehren von Luhmann“ 2024, S. 34ff.). 

Wenn Neues entsteht und eine Chance haben soll, muss Leitung den Rücken breit machen und Verantwortlichkeit übernehmen: "Ich stehe dafür ein – auch wenn es schief geht. Ich unterschreibe das als Leitung – auch wenn ich es selbst nicht plane und umsetze."

Diese klare Verantwortlichkeit ermöglicht es anderen, in Verantwortung zu gehen. Die, die nach Lösungen suchen, Ideen ausprobieren oder ein Projekt umsetzen, können so verantwortlich handeln – auch und gerade, weil die Verantwortlichkeit geklärt ist. Dabei muss Verantwortlichkeit nicht notwendig an eine Leitungsperson gebunden sein – solange Leitung im System adressierbar bleibt, können auch andere in die Verantwortlichkeit gehen. 

Allerdings macht die allgemeine Unsicherheit auch nicht vor der Leitung halt. Oft können Führungskräfte eigentlich keine Sicherheit geben, müssen aber so tun, als ob sie sicher wären. Weil sie verantwortlich sind. Weil sonst die Menschen in den Organisationen ins Schlingern kommen. Weil die Mitarbeitenden den Zustand der Organisationen am Verhalten der Leitung ablesen. Es ist daher die Funktion von Leitung, Unsicherheit auszuhalten und dennoch Entscheidung zu treffen, sei es, indem sie selbst entscheidet oder festlegt, durch wen es zu Entscheidungen kommen kann. 

Verantwortung in Beratungsprozessen 

In solchen Situationen der Unsicherheit wird oft eine externe Begleitung beauftragt. Damit verbindet sich häufig die Fantasien, die Berater:innen könnten zeitweilig die Verantwortung für die Organisation übernehmen und damit die Probleme lösen. Das allerdings würde ganz neue, und letztlich größere Probleme schaffen. Daher braucht es in Beratungsprojekten klare Unterscheidungen der Verantwortungen. Für die Inhalte sind die Kundensysteme verantwortlich: Welche Fragen wollen wir entscheiden, wie können wir dafür sorgen, dass wir trotz unserer Unterschiede arbeitsfähig sind, etc.. Die Verantwortung der Beratung liegt in der Gestaltung des Prozesses und darin, Methoden, Modelle und Beobachtungen zu Verfügung zu stellen, also Fragen zu stellen, Impulse zu setzen und verschiedene Perspektiven ins Gespräch zu bringen. 

Zum Ausbildungslaboratorium 

Das jährliche Laboratorium ist Höhepunkt und Alleinstellungsmerkmal der OE-Ausbildung im IPOS. Drei Ausbildungsgruppen verbringen eine Woche in einem Tagungshaus und arbeiten und lernen miteinander und voneinander. Täglich gibt es ein gemeinsames Plenum zum thematischen Schwerpunkt des Laboratoriums. Dieser entsteht jedes Jahr neu aus den Beobachtungen der Trainer:innen: Was beobachten wir in unseren Beratungen? Wohin entwickeln sich Organisationen?  Wie geht es der Kirche? 

Das Setting – jahrgangsübergreifend in der großen Gruppe – ermöglicht es, experimentierend an Themen heranzugehen, sie auf die eigene Beratungspraxis zu beziehen und Nutzen für die Kund:innen zu stiften. Dieses Experimentierfeld ist ein gemeinsamer Lern- und Beobachtungsraum, eine Co-Kreation, in der gemeinsam Verantwortung für das Lernen der Gruppe und die individuellen beraterischen Entwicklungsschritte getragen wird.