Als wir mit über eineinhalbjährigem Vorlauf im Sommer den Workshop „Sexualisierte Gewalt in Organisationen und Einrichtungen“ für Beraterkolleg:innen des IPOS angeboten haben, war die „Aufarbeitungsstudie ForuM“ der EKD und Diakonie erst wenige Monate zuvor veröffentlicht worden. Weitere Aufarbeitungen zur Thematik (global, regional, katholisch) klangen noch in den Medien nach.
Die Studie brachte bedrückende Fakten ans Licht: Bei über 2.200 “Fällen” wurde von "der Spitze der Spitze eines Eisbergs" gesprochen. Die amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Kirsten Fehrs, fordert seither neben den Handlungs- und Schutzkonzepten eine Haltungs- und Kulturveränderung bei Verantwortlichen als auch mit Blick auf die Strukturen in den Landeskirchen.
Die Thematik hat jedoch weit über die Kirche hinaus eine dramatische Relevanz; so einigte sich im Februar das EU-Parlament immerhin auf den Entwurf einer Richtlinie bzgl. Strafverfolgung bei sexualisierter Gewalt. Gleichzeitig bleiben andere dringend benötigte Maßnahmen, wie eine einheitliche Definition von Vergewaltigung und deren Strafverfolgung in der EU, durch veraltete Vorstellungen blockiert.
Macht und zugleich Ohnmacht nahmen somit sperrig Platz im Stuhlkreis unseres Workshops. Referentin Katharina Loerbroks aus Berlin navigierte uns jedoch sicher durch die beiden Tage und sensibilisierte uns für die Thematik im Kontext von Institutionen und Organisationen: Welche System-Bedingungen begünstigen Vorfälle sexualisierter Gewalt? Welche Aspekte sind bedeutsam bei Prävention, Intervention und Aufarbeitung? Wie kann eine Kultur des Hinschauens und Ansprechens erlernt werden? Die Teilnehmenden wurden anschaulich anhand von Praxis-Beispielen aus Institutionen dabei unterstützt, insgesamt einen sensiblen und professionellen Umgang zur Thematik zu entwickeln.
Als Professorin für Systematische Theologie brachte Christiane Tietz einen Impuls mit theologischen Überlegungen zum Thema Schuld und Vergebung ein. Für mich nahm damit eine weitere Gestaltungsform von Verantwortung im Stuhlkreis Platz, insbesondere bei den offenen Überlegungen zu der Unterscheidung von göttlicher und zwischenmenschlicher (Nicht-)Vergebung.
Die Veranstaltung zeigte noch einmal sehr eindrücklich, wie vielschichtig das Thema sexualisierte Gewalt ist. Daher ist es gut, dass es verschiedene Fachlichkeiten und Zuständigkeiten in diesem Bereich gibt.
Für Präventionskonzepte und Aufarbeitung gibt es hoch spezialisierte Einrichtungen – in der EKHN die Fachstelle für sexualisierte Gewalt. Wir im IPOS beraten Systeme, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, nachdem Intervention und Aufarbeitung stattgefunden haben und die Frage im Raum steht, wie es nun weitergehen kann.
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